15. Juli 2021
Höchstrichterlich angeordnete Verzögerungen bei “Diesel”-Verfahren in den unteren Instanzen habe es nicht gegeben.
Düsseldorf, 15. Juli 2021: Vor drei Wochen hat eine Allianz von Verbraucherschutzkanzleien Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof, Stephan Seiters, eingereicht. Diese wurde nun prompt beantwortet, jedoch nicht von der Präsidentin des Bundesgerichtshofs Bettina Limperg persönlich, sondern einer bearbeitenden Richterin.
Im Juni dieses Jahres war publik geworden, dass der Vorsitzende des “Diesel” Senats beim BGH – hier namentlich Richter Seiters – im Jahr 2020 die untergeordneten Instanzen aufgefordert hat, Verfahren über anhängige Dieselklagen zunächst zurückzustellen, bis in Karlsruhe grundlegende Entscheidungen ergehen. Begründet wurde diese vom Standardprozedere stark abweichende Praxis mit der Menge der eingereichten Klagen und der daraus folgenden Überlastung des Senates. Dies belegte ein entsprechendes Schreiben des ehemaligen Präsidenten des OLG Dresden, Gilbert Häfner.
Zu dieser brisanten Angelegenheit äußerte sich der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum, Seniorpartner bei Baum Reiter & Collegen, deutlich: „Ich finde es ungeheuerlich, wenn ein BGH-Richter seinen Kollegen an den Oberlandesgerichten vorgreifen will. Das ist ein Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz.“
Sein Partner Julius Reiter ergänzte: „Auch wenn eine enorme mengenmäßige Belastung bei den Gerichten vorliegt, darf dies nicht dazu führen, dass der Rechtsweg de facto verkürzt wird. “
72 Verbraucheranwälte sahen sich in der Konsequenz veranlasst, das Vorgehen von Richter Seiters mittels Dienstaufsichtsbeschwerde öffentlich zu rügen und im selben Schreiben darauf hinzuweisen, die monierte Verzögerungstaktik sofort einzustellen.
Mit Antwortschreiben vom 5. Juli lässt Frau Limperg nun durch eine bearbeitende Richterin erklären, dass eine Einmischung des BGH in Ablauf und Geschwindigkeit der instanzgerichtlichen Verfahren zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt gewesen sei, man vielmehr auf die Unabhängigkeit der Instanzgerichte allergrößten Wert lege, weshalb sie die Beschwerde als unbegründet zurückweist.
„Dass eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen einen Senatsvorsitzenden nicht gerne gesehen wird, war uns natürlich bewusst. Wir haben dieses Instrument jedoch aus gutem Grund gewählt, weil wir die Rechte der von uns vertretenen Verbraucher als massiv gefährdet betrachten, wenn die Gerichte bei der Bearbeitung der Klagen nun alle aufs Bremspedal treten“, erklärt Reiter. „Auf unseren Einwand, dass wir die höchstrichterliche Verzögerungstaktik als schwerwiegenden Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipen einstufen, geht sie in ihrer Antwort nur kurz und oberflächlich ein. Sie hätte jedoch stattdessen den ganz offensichtlichen Fehler einräumen müssen, der darin bestand, dass der Vorsitzende Richter Seiters keine Überlastung seines Senats anzeigte, sondern als deutlich schlechtere Lösung versucht hat, auf dem Rücken der Geschädigten deren Grundrechte zu beschneiden. Das ist sehr schade und dient nicht unbedingt als vertrauensbildende Maßnahme“, so Reiter weiter.
Um der nach wie vor ungebrochenen Flut an Schadenersatzklagen geprellter Diesel-Käufer Herr zu werden, plant der BGH nun die Einrichtung eines temporären Spezialsenats, dessen einzige Aufgabe darin besteht, die in höchstrichterliche Revision gegangenen Fälle zu prüfen und zu entscheiden. Aufgrund ständig neu hinzukommender Motoren, in denen unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut wurden und der vom Verbraucherzentrale Bundesverband kürzlich auf den Weg gebrachten Musterfeststellungsklage gegen Daimler erwartet Karlsruhe alsbald eine neue Klagewelle und will sich mit dem Spezialsenat entsprechend wappnen.
„Auch wenn die knappe Antwort im Auftrag von Präsidentin Limperg aus unserer Sicht unbefriedigend war, so sehen wir die Installation eines Diesel-Senats, die unmittelbar im Anschluss an unsere Beschwerde geschehen soll, als Erfolg. Offenbar hat die Beschwerde doch Eindruck gemacht. Und jede Maßnahme, die der Beschleunigung der Verfahren dient, begrüßen wir“, sagt Rechtsanwältin Andrea Burghard, bei Baum Reiter & Collegen zuständig für die Fallgruppe ‚Abgasskandal‘.
baum reiter & collegen engagieren sich seit der Gründung 2001 für die Rechte von Anlegern, Bankkunden und Verbrauchern. Die Kanzlei mit Standorten in Düsseldorf und Berlin ist bundesweit eine der führenden Kanzleien im Bereich Bank- und Kapitalmarktrecht. Weitere Tätigkeitsschwerpunkte sind Opferschutz (u.a. Loveparade-Katastrophe, Germanwings-Absturz), Arbeitsrecht, IT-Recht, Datenschutz /-sicherheit sowie Verfassungsrecht. Seit 2015 haben baum reiter & collegen mehr als 12.000 geschädigte Autofahrer im Abgasskandal erfolgreich vertreten.