20. September 2021
Die Einführung von EU-Sammelklagen stärkt die Rechte von Verbrauchern in länderübergreifenden Massenschadensfällen und soll Verfahren gegen große Unternehmen vereinfachen.
Im November 2020 verabschiedeten das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union die Richtlinie zu einer neuartigen europäischen Sammelklage. Diese muss nun bis zum 25. Dezember 2022 von den EU-Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt und bis zum 25. Juni 2023 angewandt werden.
Sammelklagen und Musterfeststellungsklagen
Gerade in den USA ist das Konzept der Kollektivklage weit verbreitet und beliebt. Auch in Deutschland lässt sich – unter bestimmten Bedingungen – beispielsweise in Form einer Musterfeststellungsklage kollektiv klagen. Was also ändert sich für deutsche Verbraucher mit der Einführung einer EU-weit einheitlichen Richtlinie für Sammelklagen?
Bei einer Musterfeststellungsklage, wie man sie in Deutschland bereits im Kontext des Diesel-Abgasskandals kennt, wird von Verbraucherverbänden die Feststellung eines Anspruchs bearbeitet. Mit dem derzeit in Deutschland geltenden Opt-In-Prinzip muss sich der Verbraucher aktiv für die Teilnahme am Verfahren anmelden. Leistungsklagen sind nachfolgend allerdings zusätzlich und individuell zu erheben. Die Sorge vieler Verbraucher, aufgrund der ungleichen Machtdynamik vor Gericht keinen Erfolg gegen große Unternehmen verbuchen zu können, wird durch die gerichtliche Feststellung eines Anspruchs minimiert. Erst vor Kurzem startete eine zweite groß angelegte Musterfeststellungsklage gegen die Daimler AG: Und auch hier geht es um den Diesel-Abgasskandal.
Bei einer Sammelklage dürfen ausschließlich qualifizierte Einrichtungen, also erwerbszwecklose und unabhängige Verbraucherschutzorganisationen, die betroffenen Verbrauchergruppen vertreten und die Klage vor Gericht bringen. Da nun auch Unterlassungs- sowie Abhilfeklagen kollektiv erhoben werden können, kann der Verband direkt auf eine Leistung, wie etwa Schadensersatz, klagen. Mit dem von der neuen Richtlinie vorgesehenen Opt-Out-Prinzip soll ermöglicht werden, dass der klagende Verband dann alle betroffenen Verbraucher eines Staates vertritt. Widerspruch ist jedoch möglich: Denn wer sich sich von einem Verband vor Gericht vertreten lässt, bindet sich damit an den Prozess und kann deshalb bzw. danach keine individuellen Ansprüche mehr geltend machen. Alle nachweislich vom selben Sachverhalt betroffenen Verbraucher haben bei einer erfolgreichen Sammelklage Anspruch auf Entschädigung. So wird der Vorgang für betroffene Verbraucher von Massenschäden innerstaatlich und länderübergreifend simplifiziert. Ebenfalls neu ist die dem deutschen Prozessrecht noch weitestgehend fremde Offenlegungspflicht. Diese verpflichtet das beklagte Unternehmen dazu, nachteilige Beweise, die sich in seiner Obhut befinden, vorzulegen.
Wer kann von der EU-Sammelklage Gebrauch machen?
Die Europäische Sammelklage wird vor allem zum Schutz der Verbraucherrechte eingeführt. Verstößt etwa ein Unternehmen gegen das Unionsrecht, hat es der einzelne Kläger viel leichter, sein Recht wahrzunehmen.
Ein gutes Beispiel hierfür ist der Diesel-Abgasskandal, bei dem mehrere Millionen Fahrzeuge mit manipulierten Abschalteinrichtungen ausgestattet worden waren, um auf dem Prüfstand Emissionswerte vorzutäuschen, die sich innerhalb der gesetzlich geregelten Grenzwerte bewegten. Im alltäglichen Betrieb jedoch stiegen diese Werte weit über die gesetzlichen Vorschriften hinaus. Noch immer sind unzählige Verbraucher betroffen und müssen ihren Anspruch auf Schadensersatz individuell einklagen. Eine Sammelklage vereinfacht es geschädigten Verbrauchern, ihren Schadensersatz einzuklagen. Neben dem Dieselskandal könnte die neue EU-Sammelklage auch in den Bereichen Datenschutz, Finanzdienstleistungen, Tourismus, Energie und Telekommunikation Anwendung finden.
Wer ist im Falle einer Sammelklage zuständig?
Grundsätzlich ist entweder das am Sitz der Beklagten oder am Sitz des Klägers zuständige Gericht im Falle einer Sammelklage örtlich zuständig. Die Richtlinie des Europäischen Parlaments gibt den EU-Mitgliedsstaaten aber nur einen Mindeststandard oder eine so genannte Mindestharmonisierung vor. Den einzelnen Mitgliedsstaaten ist es gestattet, im Rahmen dieser Richtline auch wesentlich strengere Vorschriften zu veranlassen.
Schutz vor Missbrauch
Kritiker befürchten das Heranwachsen einer neuen ‚Klageindustrie‘, wie sie bereits aus den USA bekannt ist. Einzelne Unternehmen kritisieren dort, dass die Vereinfachung von Kollektivklagen auch zum Missbrauch einlädt. Diesem soll mit dem so genannten Verursacherprinzip entgegengewirkt werden. Dieses besagt, dass der Verlierer die Verfahrenskosten der obsiegenden Partei trägt. Ferner können das Gericht sowie die zuständigen Behörden eine offensichtlich unbegründete Sammelklage frühzeitig aufheben.