Drogenpolitik – Was gibt’s Neues?
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Drogenpolitik – Was gibt’s Neues?

Drogenpolitik

Beim Thema Alkohol bleibt vorerst alles, wie es immer schon war

Vor 14 Tagen wurde er der Öffentlichkeit präsentiert – der neue Ampel-Koalitionsvertrag von SPD, B90/Die Grünen und FDP. Dem ‚Fortschritt‘, der mit der Freigabe von Cannabis erzielt wird, steht die Beibehaltung des Status quo beim Alkohol, der als Rückschritt zu werten ist, diametral entgegen.

In der Glühwein- und Rumpunsch-geschwängerten Vorweihnachtszeit interessiert mich als trockenen Alkoholiker und treuen Besucher von AA-Meetings vor allem, was zum Thema Alkohol (-politik) drinsteht. Wie fortschrittlich geben sich da die neuen Koalitionäre?

Viel ist es nicht, was sich dazu im Hauptkapitel „Pflege und Gesundheit“ findet. Spärliche vier Zeilen sind es geworden, welche die Ampel dem wichtigen Thema Alkohol (-missbrauch) widmet:

„Bei der Alkohol- und Nikotinprävention setzen wir auf verstärkte Aufklärung mit besonderem Fokus auf Kinder, Jugendliche und schwangere Frauen. Wir verschärfen die Regelungen für Marketing und Sponsoring bei Alkohol, Nikotin und Cannabis. Wir messen Regelungen immer wieder an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und richten daran Maßnahmen zum Gesundheitsschutz aus.“

© Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“, S. 88

Während sich die Ampelkoalition hinsichtlich der Cannabis-Liberalisierung tatsächlich progressiv zeigt, eiert sie beim Volkskiller Nr. 1, dem Alkohol, rum:

▪ „verstärkte Aufklärung“ [als ob es davon in der Vergangenheit zu wenig gegeben hätte]

▪ „mit besonderem Fokus auf Kinder, Jugendliche und schwangere Frauen“ [warum nicht ebenfalls dem Fokus auf erwachsene Männer, die den Löwenanteil bei den Alkoholikern stellen?]

▪ „Wir verschärfen die Regelungen für Marketing und Sponsoring“ [da bin ich ja mal gespannt, wie schnell der Vorhang für Bitburger und Krombacher bei der Samstagabendsportschau fällt. Meine Prognose: Das werde ich nicht mehr erleben].

74.000 Tote pro Jahr durch Alkohol – zum Vergleich: 2.724 Verkehrstote im Jahr 2020

Kurz zur Erinnerung: 

• Neun bis zehn Millionen Menschen in Deutschland konsumieren Alkohol in riskanter und gefährlicher Weise (davon zwei Drittel Männer und ein Drittel Frauen), von denen 1,5 bis 2 Millionen als alkoholabhängig anzusehen sind.

• Eine psychische oder verhaltensbezogene Störung durch Alkohol wurde im Jahr 2019 als dritthäufigste Einzeldiagnose in Krankenhäusern mit knapp 300.000 Behandlungsfällen diagnostiziert

(davon 100.000 mit akuter Alkoholvergiftung).

• Alkohol stellt nach Nikotin und Bluthochdruck das dritthöchste Risiko für Krankheit und vorzeitigen Tod in den westlichen Industrieländern dar.

• Jeder vierte Mann in Deutschland, der im Alter zwischen 35 und 65 Jahren stirbt, tut dies aufgrund der Folgen übermäßigen Alkoholkonsums.

• Analysen gehen für Deutschland von jährlich 74.000 Todesfällen, bedingt durch den kombinierten Konsum von Alkohol und Tabak aus (hierin gemäß Schätzungen 45.000 Tote durch Alkohol alleine). Nicht berücksichtigt ist jedoch die weitaus größere Zahl an Krebserkrankungen mit tödlichem Ausgang, die durch Alkoholmissbrauch (mit-) verursacht werden.

Vernünftige Vorschläge zur Eindämmung des Missbrauchs gibt es seit langem

Vorschläge, den chronisch überbordenden Konsum von Karlskrone und Meckstädter Doppelkorn einzudämmen. gibt es einige. Die sinnvollsten lauten:

1. Erhöhung der Preise [der Stoff ist bei uns definitiv zu billig]

2. Heraufsetzung des Bezugsalters [keine Alkopops, kein Bier an Minderjährige]

3. Ausdünnung der Verkaufsstellen [was hat Wodka in den Regalen von Tankstellen zu suchen?]

4. Keine Abgabe nach 22 Uhr [mit Ausnahmeregelung für Clubs]

5. Konsumfreie Räume [z. B. ÖPNV, öffentliche Plätze]

6. Keine Werbung in TV, Radio, Printmedien, auf Plakatwänden und Trikots von Sportvereinen u. ä.

7. Promillegrenze Nullkommanull am Steuer [erspart die lästige Rechnerei nach dem zweiten Weihnachtsmarkt-Rumpunsch].

Alkohol: endlich weg von der Verharmlosung als Kulturdroge 

Solange Bier und Schnaps bei uns verniedlichend als Kulturdroge eingestuft werden und Politiker – egal, welcher Partei sie angehören – das Thema meiden wie der Säufer den Gang zur Suchtberatungsstelle, weil sie abrupten Liebesentzug ihrer Wähler befürchten, sobald sie Forderungen zur Erschwernis des Erwerbs aufstellen, so lange wird sich am mitteleuropäischen Alkoholelend nichts großartig ändern. Wir werden weiterhin knapp elf Liter Reinalkohol (pro Ü15-Kopf per annum) in uns reinschütten und jedes Jahr einige zehntausend Schnapsdrosseln aufgrund geplatzter Lebern zu Grabe tragen, bevor wir eine Stunde später beim geselligen Leichenschmaus mit Piccolöchen und Lakritzlikör auf den Verstorbenen anstoßen.

Die „neue“ Drogenpolitik muss deshalb zweigeteilt beurteilt werden. Bei der Legalisierung von Cannabis bedeutet sie einen wirklichen Fortschritt: Konsumenten und entlastete Polizeireviere werden danken. Und natürlich freut sich ebenfalls der neue Finanzminister über prognostizierte 5 Mrd. Euro Steuereinnahmen, die durch den Verkauf in staatlich lizensierten Shops in die Staatskasse sprudeln werden.

Beim Alkohol ist die Beibehaltung des Status quo hingegen als Rückschritt zu werten. Fortschrittlich wäre es hier gewesen, sich die Ratschläge der Weltgesundheitsorganisation zu Herzen zu nehmen und zum einen die Preise zu erhöhen und zum anderen die Anzahl der Verkaufsstellen auszudünnen. Aber dass solche Maßnahmen in einer notorischen Trinkernation wie unserer ergriffen werden, ist genauso wahrscheinlich wie ein Junggesellen:innen-Abschied, der ohne Kotzen in fremde Toiletten zu Ende geht.

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen Effzeh: nämlich den aus Köln) Fan, seit zehn Jahren trockener Alkoholiker. Bei baum reiter & collegen arbeitet er im kaufmännischen Bereich und trinkt auf Betriebsfeiern beharrlich Coke Zero und Orangensaft.