21. Juli 2020
Beim Zahlungsabwickler Wirecard bahnt sich einer der größten Finanzskandale der Nachkriegszeit an. Was ist passiert?
1,9 Mrd. Euro fehlen in der Wirecard-Bilanz. Gelder, die eigentlich auf ausgewiesenen Treuhandkonten liegen sollten, existieren in Wirklichkeit nicht. Auf Grund von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung der Wirecard AG wurde über das Vermögen der Bank das Insolvenzverfahren eingeleitet. Der Aktienkurs brach daraufhin dramatisch ein.
Bilanzmanipulationsvorwürfen sah sich die Bank schon seit längerer Zeit ausgesetzt. Um die ‚Gerüchte‘ ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen, beauftragte Wirecard im vergangenen Jahr die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG mit einer Sonderuntersuchung. Im April dieses Jahres teilte der Finanzdienstleister dann öffentlich mit, dass keine Belege für etwaige Bilanzmanipulationen gefunden worden seien. Dass dies nur die halbe Wahrheit war, zeigte sich schon zwei Monate später. Es stellte sich heraus, dass offenbar 1,9 Mrd. Euro, was etwa einem Viertel der Konzernbilanzsumme entspricht, tatsächlich nicht existieren.
Für Kapitalanleger, die auf die Aktie des Zahlungsdienstleisters gesetzt hatten, stellt sich berechtigterweise die Frage, ob das investierte Geld endgültig verloren ist. In jedem Fall sollten Anleger ihre Ansprüche im Insolvenzverfahren geltend machen. Zwar stehen Aktionäre im Insolvenzfall unter den Gläubigern grundsätzlich in einer der letzten Reihen. Das ändert sich aber, wenn sich die insolvente Aktiengesellschaft schadensersatzpflichtig gemacht hat.
Im Fall der Wirecard AG spricht vieles dafür, dass dies der Fall ist. Bei Zugrundelegung der aktuellen Informationen und der bisherigen Berichterstattung kommt zudem ein ‚bunter Strauß‘ an weiteren potenziellen Haftungsgegnern in Betracht. Allen voran sind hier die Wirtschaftsprüfer zu nennen, denen offenbar die Nichtexistenz von 1,9 Mrd. Euro entgangen war. Daneben kommen die Vorstandsmitglieder der Bank persönlich für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüche in Betracht.
Sollte sich überdies konkretisieren, dass auf Seiten der Bankenaufsicht (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz BaFin) oder des Bundesminsteriums für Finanzen Fehler begangen wurden, kommt möglicherweise sogar eine Staatshaftung in Betracht.
Allen Anspruchsszenarien ist gemein, dass es noch weiterer Sachverhaltsaufklärungen bedarf, um eine fundierte Begründung vorlegen zu können. Diverse Strafverfahren wurden inzwischen eingeleitet. Mit Spannung dürfen die Ermittlungen sowie die weiteren Enthüllungen in dem Skandal erwartet werden.