Abgasskandal: Auch Behörden vielfach betroffen  
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Abgasskandal: Auch Behörden vielfach betroffen  

Abgasskandal: Auch Behörden vielfach betroffen  

26. Oktober 2022

Nach positiven Signalen aus Luxemburg verbessern sich die Erfolgsaussichten auch für Klagen der öffentlichen Hand. Ansprüche sind vielfach noch nicht verjährt.  

Die Entscheidungen des EuGH vom 14. Juli 

Drei Urteile des EuGH vom 14. Juli (C-128/20, C-134/20 und C-145/20) könnten erhebliche Auswirkungen für Eigentümer von Dieselfahrzeugen in Deutschland, darunter auch Bundesländer und Kommunen, haben. Der EuGH hatte sich in den Entscheidungen mit dem Software-Update beim „Skandalmotor“ EA 189 zur beschäftigen. Dieses beinhaltete – wie bei Dieselfahrzeugen generell üblich - ein sog. Thermofenster. Dies bedeutet, dass die Abgasreinigung bei bestimmten Außentemperaturen reduziert wird. Bei den vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) genehmigten Software-Updates ist das Temperaturfenster so ausgestaltet, dass die Abgasreinigung nur bei einer Außentemperatur von 15 bis 33 Grad Celsius und unter 1.000 Höhenmetern korrekt funktioniert. Außerhalb dieser Bedingungen ist der Stickoxid-Ausstoß deutlich höher.   

Wie der EuGH nunmehr entschieden hat, sind die in den vom KBA genehmigten Updates enthaltenen Thermofenster rechtswidrig. Mit seinen Urteilen vom 14. Juli hat der Gerichtshof klargestellt, dass eine Einrichtung, die die Einhaltung der Grenzwerte für Stickstoffoxidemissionen nur innerhalb eines bestimmten Temperaturfensters gewährleistet, grundsätzlich eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt. Die in der Verordnung Nr. 715/2007 festgelegten Grenzwerte seien auch dann einzuhalten, wenn die Temperaturen unter 15 Grad und damit eindeutig in einem Bereich liegen, der in der Europäischen Union normal seien. Auch können sich – so der EuGH – die Hersteller nicht ohne Weiteres darauf berufen, dass Thermofenster zum Schutz des Motors erforderlich seien. Nur „unmittelbare Risiken“ in Form von „Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen“, könnten die Verwendung einer Abschalteinrichtung rechtfertigen, so das Gericht. Ein allgemeiner Verschleiß als Begründung für das Thermofenster scheidet damit eindeutig aus. Auch stellte das höchste europäische Gericht klar, dass höhere Preise kein Hinderungsgrund sein dürfen, eine alternative technische Lösung einzubauen. Wenn eine Abschalteinrichtung allein deshalb zugelassen würde, weil z. B „die technische Ausrüstung teuer“ sei oder „häufigere und kostspieligere Wartungsarbeiten am Fahrzeug anfallen“ würden, würde das Ziel der Verordnung Nr. 715/2007 „ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen und die Luftqualität in der Union zu verbessern“ in Frage gestellt.  

Stilllegungen könnten die Folge sein  

Das Urteil könnte erhebliche Auswirklungen für Eigentümer von Dieselfahrzeugen in Deutschland haben. Darunter fallen auch viele Bundesländer und Kommunen, v.a. in Form von Fahrzeugflotten der Polizei und anderer Behörden. Sofern es sich hierbei um Dieselfahrzeuge handelt, dürften diese mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest Abschalteinrichtungen in Form von Thermofenstern aufweisen. Erst recht unzulässig sind nach den vom EuGH aufgestellten Grundsätzen Abschalteinrichtungen, die eng auf die Bedingungen des behördlichen Prüfverfahrens abgestimmt sind. Hierunter fallen zum Beispiel die sog. Aufheizstrategie bei 3-Liter-Fahrzeugen von Audi oder die sog. Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung von Mercedes-Benz. Auch der von Volkswagen entwickelte Nachfolgemotor des bereits erwähnten Motors EA 189 beinhaltet eine „Fahrkurvenerkennung“ und daran geknüpft unterschiedliche Modi auf dem Prüfstand sowie im normalen Fahrbetrieb.   

Zwar sieht das KBA derzeit in Bezug auf die Software-Updates beim Motor EA 189 noch keinen Handlungsbedarf und hat überraschenderweise mitgeteilt, man berücksichtige hier die Vorgaben des EuGH bereits. In Bezug auf Fahrzeuge mit 3.0-Liter-Motor scheint des KBA dies jedoch bereits anders zu sehen: BRC liegt ein Schreiben des KBA vor, in dem es in Bezug auf ein solches Fahrzeug heißt „[v]or dem Hintergrund der EuGH-Urteile vom 14. Juli 2022 zur Zulässigkeit von Thermofenstern“ werde „die im Anhörungsverfahren seitens des Fahrzeugherstellers vorgebrachte Begründung zur Notwendigkeit der Abschalteinrichtung […] nochmals überprüft“. Auch könnten – so das KBA – „[w]eitere verwaltungsrechtliche Maßnahmen […] nicht ausgeschlossen werden“. Sofern das KBA in Zukunft die Vorgaben des EuGH aus eigener Initiative umsetzt oder hierzu von Gerichten verpflichtet wird (auch hierzu ist ein Verfahren vor dem EuGH unter dem Aktenzeichen C-873/19 anhängig), droht den betroffenen Fahrzeugen in letzter Konsequenz die Stilllegung.    

Generalanwalt widerspricht BGH  

Hilfestellung für Käufer von Dieselfahrzeugen könnte allerdings ebenfalls aus Luxemburg kommen: Denn der EuGH-Generalanwalt Athanasios Rantos hat Anfang Juni vorgeschlagen, dass Autohersteller bei Verstößen gegen die Verordnung Nr. 715/2007 bereits für einfache Fahrlässigkeit haften sollen (C-100/21). Die Reaktion der Gerichte in Deutschland bleib nicht aus: So hat der VII. Senat des BGH eine für den 30.06.2022 geplante Verhandlung über Schadenersatzforderungen wegen eines VW mit EA 288-Motor (VII ZR 412/21) abgesagt und über seinen Sprecher mitgeteilt, dass man wegen der Schlussanträge des Generalanwalts zunächst abwarten wolle. Der VIa. Senat des BGH hat einen Verhandlungstermin für den 21. November 2022 angesetzt und via Pressemitteilung erläutert, man wolle denjenigen Gerichten, die nach Veröffentlichung der Schlussanträge des Generalanwalts „aus Gründen der Gewähr effektiven Rechtsschutzes die vor ihnen eröffnete Tatsacheninstanz nicht schließen, […] höchstrichterliche Leitlinien an die Hand“ geben. Auch viele Oberlandesgerichte haben bereits reagiert und ihre Verfahren ausgesetzt, um eine Entscheidung des EuGH abzuwarten. Sollte sich der EuGH auch in dem Verfahren C-100/21 – wie zu erwarten ist – der Ansicht des Generalanwalts anschließen, steigen die Erfolgssausichten für Klagen von Fahrzeugeigentümern gegen die Autokonzerne aufgrund der herabgesetzten Haftungsanforderungen erheblich.   

Kommunen und Bundesländer haben Chancen auf Schadensersatz   

Auch Kommunen und Bundesländer sollten daher ihre Ansprüche – gerade auch vor dem Hintergrund einer sparsamen und wirtschaftlichen Mittelverwendung - prüfen lassen. Für Behörden lohnt sich dies besonders, weil eine Verjährung von Ansprüchen vielfach noch nicht eingetreten ist. Hintergrund ist, dass für die behördlichen Fahrzeugflotten häufig nicht Gebraucht- sondern Neufahrzeuge erworben werden. Diese Konstellation ist deshalb so günstig, weil der BGH bereits entschieden hat, dass Ansprüche von Neuwagenkäufern nicht der dreijährigen Regelverjährung, sondern der zehnjährigen Verjährung des § 852 BGB unterliegen (BGH, Urteile vom 21.02.2022 – VIa ZR 8/21 und VIa ZR 57/21).  

Ein weiterer Vorteil ergibt sich daraus, dass Geschädigte die Wahl haben, entweder den Kaufvertrag rückabzuwickeln oder aber das Fahrzeug zu behalten und als Schaden den Betrag zu verlangen, um den sie das Fahrzeug zu teuer erworben haben (BGH, Urteil vom 06.07.2021, VI ZR 40/20 – „kleiner Schadensersatz“).   

Positive Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, dass sich ein Vorgehen der öffentlichen Hand gegen Autobauer lohnen kann: So hat das Landgericht Bonn im Jahr 2020 Volkswagen zur Zahlung von rund 470.000 EUR an die Stadt Bonn verurteilt (Az. 1 O 481/18). Auch die Länder Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sind bereits erfolgreich gegen Volkswagen vorgegangen. Beide Verfahren, in denen es um landeseigene Polizeifahrzeuge ging, wurden erfolgreich durch Vergleich beigelegt. Nach den positiven Signalen aus Luxemburg, dürften demnächst weitere Klagen von Kommunen und Bundesländern bevorstehen.   

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